Sabrina Pfefferle ist Studentin am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin  und studentische Mitarbeiterin im Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ).

Sabrina Pfefferle

Sagt Ihnen der Name Anna Walentynowicz etwas? Oder Alina Pienkowska, Maryla Płońska, Ewa Ossowska? Ich kannte keinen dieser Namen. Diese Frauen waren Teil der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarność, die maßgeblich zum Zusammenbruch des kommunistischen Systems in Polen und zur Demokratisierung des Landes beitrug. Die Unbekanntheit dieser Frauen ist besonders auffallend, da sie konträr zu ihrer historischen Bedeutung steht. So war die politisch motivierte Entlassung der Arbeiterin Anna Walentynowicz die direkte Ursache für den Streik, der am 14. August 1980 in der Leninwerft in Danzig seinen Anfang nahm und aus dem rasch eine landesweite Bewegung gegen politische Repressionen, Einschränkungen von Meinungs- und Pressefreiheit sowie gegen schlechte Arbeitsbedingungen wurde. In Folge wurde auch die Gewerkschaft Solidarność gegründet – unter anderem von Anna Walentynowicz. 

Die Hälfte der Anfang der 1980er Jahre rund zehn Millionen Gewerkschaftsmitglieder war weiblich. Und es waren Frauen, die die Bewegung im Untergrund stabilisierten, nachdem sie im Dezember 1981 verboten wurde und viele männliche Aktivisten inhaftiert worden waren. Gleichzeitig waren Frauen kaum in den Führungsgremien der Bewegung vertreten. So saßen etwa am Runden Tisch, bei dem sich zwischen Februar und April 1989 Vertreter der regierenden kommunistischen Partei mit denen der Opposition trafen, lediglich zwei Frauen – neben sechsundfünfzig Männern. Auch bei den ersten freien Wahlen am 4. Juni 1989 standen kaum Frauen auf den Wahllisten der Solidarność. Es zeigt sich eine deutliche Diskrepanz zwischen der Anzahl beteiligter Frauen und ihrer Repräsentanz in Machtpositionen – ein Ungleichgewicht, das sich auch im historischen Gedächtnis manifestiert. 

Für die historisch-politische Bildung sind die Frauen der Solidarność interessant: Die Geschichte des Widerstands gegen den Staatssozialismus kann an ihrem konkreten Beispiel nachgezeichnet und gleichzeitig die Bedeutung von Geschlecht in politischen Protestbewegungen ebenso wie in der Erinnerungskultur erarbeitet werden. Doch wie kann man sich diesem weitläufigen Themenkomplex annähern? Als Vorschlag hierfür soll der Film „Die Frauen der Solidarność“ von Marta Dzido und Piotr Śliwowski vorgestellt werden, der 2014 in Polen Premiere feierte und die Geschichte der Solidarność mit der Marginalisierung des weiblichen Widerstandes in der (polnischen) Erinnerungskultur verknüpft. 

„WARUM KENNE ICH SIE NICHT?“

Diese Frage der Regisseurin nach den individuellen wie den gesellschaftlichen Wissenslücken in Bezug auf die Rolle von Frauen in der Solidarność leitet den Film ein. Er erzählt die Geschichte der Bewegung ausgehend von den beteiligten Akteurinnen in vier Kapiteln: Eingeführt mit der Frage nach der Motivation für ihr politisches Engagement nähert sich die Autorin den Akteurinnen und zugleich der Protestgeschichte Polens vom Arbeiteraufstand im Juni 1956 bis hin zum Streik im August 1980. Ausgehend von dem vielfältigen Engagement der Zeitzeuginnen im Protest zeichnet der Film anschließend die Ereignisse um 1980 nach. Ein Fokus liegt alsdann auf der Protestkultur während der Zeit im Untergrund, die vornehmlich von Frauen getragen wurde. Hier entstanden etwa illegale Medien: die wöchentlich erscheinende Zeitschrift Tygodnik Mazowsze sowie die Radiostation Solidarność . Immer wieder wird Solidarität in ihrer Funktion als Machtinstrument in Form kollektiver Arbeits- oder Hungerstreiks sowie als Voraussetzung für effektive Unterstützungsnetzwerke herausgearbeitet. Zuletzt untersucht der Film die Transformation der Bewegung, wobei er vor allem die Versäumnisse am Runden Tisch reflektiert und mit einem Ausblick auf die wirtschaftliche Krise nach 1989 auch die Geschichte von verletztem Vertrauen der Arbeiter*innen in die eigene Gewerkschaft dokumentiert. 

Alle diese Sequenzen arbeiten mit dem historischen Material, mit Bildern aus der Zeit, Protestliedern sowie Video- und Tonaufnahmen. Und in allen geht es der Regisseurin um die einleitende Frage: Wieso sind die Frauen aus der Geschichte verschwunden? Wieso erinnert sich niemand mehr an Ewa Ossowska, die insbesondere bei der Aufrechterhaltung des Streiks am 16. August 1980 eine zentrale Rolle spielte und auf zahlreichen Bildern und Videoaufnahmen neben Lech Wałęsa zu sehen ist? Wieso sind so wenige der damals politisch aktiven Frauen in die Politik gegangen? Und wieso hat sie, die Drehbuchautorin und Regisseurin Marta Dzido, in der Schule nichts über die Rolle der Frauen in der Solidarność gelernt? 

Gemeinsam mit den Interviewten sucht sie und ihr Koregisseur Piotr Śliwowski nach Antworten: So kritisiert Bar-bara Labuda, eine der wenigen Aktivistinnen, die nach 1989 eine politische Laufbahn einschlug, sowohl ihre Kollegen und Kolleginnen der Solidarność als auch die heutige Gesellschaft dafür, dass es nicht gelungen sei, die „unglaublich verknöcherte Mentalität der Menschen“ (1:25:01) zu verändern, und Anerkennung dafür zu schaffen, dass auch Frauen starke und kluge Anführerinnen sein können. Besonders in der Phase der Transformation hätten zwei Dynamiken zum zunehmenden Ausschluss von Frauen aus Machtpositionen beigetragen: Sie seien nicht an den Runden Tisch gerufen worden, weil Männer bei „Prestige, Macht, Regieren, Führung“ (1:25:43) nur an Männer, nicht aber an Frauen dächten. Gleichzeitig hätten die Frauen auf entsprechende Positionen verzichtet und sich zurückgezogen. Diesen Rückzug können sich auch ehemalige Beteiligte wie Janina Jankowksa nicht erklären: „Als hätten wir Frauen uns damit einverstanden erklärt, so eine Art Dienststab zu sein, Hilfskräfte für die Logistik. Das ergibt überhaupt keinen Sinn“ (1:29:49). 

DIE ERINNERUNG AN DIE SOLIDARNOŚĆ HEUTE

Obwohl der Film „Die Frauen der Solidarność“ einige Antworten schuldig bleibt – beispielsweise auf die Fragen, welche Verbindungen zwischen verschiedenen oppositionellen Bewegungen und Akteuren in Polen existierten und wie die Akteurinnen (damals wie heute) die eigene Rolle im größeren Kontext osteuropäischer Widerstandsbewegung bewerte(te)n –, ist er gleichzeitig eine Einladung, gemeinsam weiter über den Themenkomplex nachzudenken. Zehn Jahre nach Erscheinen des Films ist die Aufarbeitung der Rolle von Frauen in der Solidarność in Polen weiter fortgeschritten – die vergessen geglaubte Ewa Ossowksa ist nun beispielsweise in der Encyklopedia Solidarności (Enzyklopädie der Solidarität) zu finden, einem Dokumentationsprojekt des Instituts für Nationales Gedenken zur Geschichte der polnischen Oppositionsbewegungen zwischen 1976 und 1989. Gleichzeitig wurde das Europejskie Centrum Solidarności (Europäisches Solidarność Centrum, ESC), das in der gesellschaftlichen Erinnerung an die Solidarność in Polen über eine gewisse Deutungshoheit verfügt, noch 2020 für die Unterrepräsentation des weiblichen Anteils an Werftmitarbeiterinnen und Solidarność-Mitgliedern in seiner Dauerausstellung kritisiert (Lange 2020). Dass Geschichtsnarrative sowohl gesellschaftlichen Bemühungen als auch politischen Interventionen unterworfen sind, lässt sich für das ESC an einem weiteren Beispiel nachvollziehen: So forderte 2019 der damalige PiS-Minister für Kultur und Nationales Erbe das Management des Museums dazu auf, Elemente in die Ausstellung zu integrieren, die der politischen Ausrichtung der PiS entsprechen und einen vom Ministerium bestimmten stellvertretenden Direktor einzusetzen. Die Kürzungen von drei Millionen Zloty, die der Ablehnung dieser Forderungen folgten, konnten durch eine öffentliche Sammlung aufgefangen werden (Kellermann 2019). 

Diese Schlaglichter zeigen: Die Gewerkschaftsbewegung Solidarność ist ein hervorragender Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit politischem Widerstand gegen den Staatssozialismus sowie mit gesellschaftlichen Erinnerungsnarrativen in der historisch-politischen Bildung. Mit dem Spielfilm „Strajk – Die Heldin von Danzig“ von Volker Schlöndorff (2006) existiert ein weiteres filmisches Angebot, das die Arbeiterin Anna Walentynowiczs und ihre Rolle im Protest ins Zentrum rückt. Er wurde von der Bundeszentrale für politische Bildung mit einem kostenfreien, filmpädagogischen Begleitheft ausgestattet (Klassenstufen 5–13). Wer weiterführende didaktische Materialien zur Geschichte der Solidarność sucht, dem seien die Bildungsmaterialien „Solidarność – Solidarität. Gesellschaftlicher Widerstand im Kommunismus“ des Deutschen Polen-Instituts empfohlen. Das Modul, das aus einer didaktischen Einführung und fünf thematischen Arbeitsblättern besteht, ermöglicht eine auf den Unterricht zugeschnittene, tiefgreifende Auseinandersetzung mit den Forderungen der Solidarność, der Rolle Polens als Vorreiter der Friedlichen Revolution sowie der Bedeutung von Medien im Widerstand gegen den Staatssozialismus. 

LITERATUR

Kellermann, Florian: Mit privaten Spenden Danziger Solidarność-Zentrum gerettet, in: Deutschlandfunk, 19.2.2019, URL: https://www.deutschlandfunk.de/polen-mit-privaten-spenden-danziger-solidarnosc-zentrum-100.html [30.6.2024]. 

Lange, Paula: Frauen der Solidarność. Die Marginalisierung weiblichen Widerstands während des Streiksommers 1980 in der polnischen Erinnerungskultur, in: Zeitgeschichte-online, 31.8.2020, URL: https://zeitgeschichte-online.de/geschichtskultur/frauen-der-solidarnosc [30.6.2024]. 

FILM

Dzido, Marta/Śliwowski, Piotr: Die Frauen der Solidarność, Polen 2014. 

Schlöndorff, Volker: Strajk – Die Heldin von Danzig, Deutschland, Polen 2006. 

 

Kommentar hinzufügen

CAPTCHA
Diese Frage dient der Spam-Vermeidung.
Image CAPTCHA
Enter the characters shown in the image.